Wächten, Beginn einer fotografischen Forschung
Installationen
„Wächten“, 2022, Gruppenausstellung «Florilegium Teufen» im Zeughaus Teufen von Juni bis Septemberr 2022
Eine erneute Einladung ins Zeughaus Teufen führte ein Jahrzehnt nach Entstehung der Arbeit „Appenzeller Hügel“ zur Beschäftigung mit Wächten. Auf anfangs zufällig, dann systematischer angegangenen Wanderungen im Zürcher Oberland wurden während drei Jahren jeweils zum Ende des Winters an sechs verschiedenen Standorten die immer gleichen topografischen Ausschnitte fotografiert. Die meteorologischen Bedingungen machten jede Aufnahmereihe unverwechselbar. Mal war viel, mal war wenig Schnee gefallen. Mal hatte die Schneeschmelze früher, mal hatte sie später eingesetzt. Stets aber war das Gelände, wie die Totalen zeigen, in einem annähernd aperen, vorfrühlingshaften Zustand.
Einen ganz anderen Eindruck erweckten die Nahaufnahmen. Je nach Kameraposition wirkten die Reste der Schneeverwehungen kümmerlich oder noch immer mächtig. Abstand, Aufnahmewinkel sowie die Wahl des konkreten Bildausschnitts und -formats erwiesen sich von zentraler Bedeutung. Nicht eine, sondern unzählige Wahrheiten schienen in den Bildreihen enthalten.
Ohne Anfangskonzept nahm das Material für die Ausstellung in Teufen unter Einbezug der „Appenzeller Hügel“ die Form verschiedener Themencluster an. Beide Arbeiten teilten den unspektakulären Blick in die Landschaft. Allerdings ging es nun nicht mehr um einen kritischen Blick auf deren monotone Erscheinung. Sowohl inhaltlich als auch grafisch-formal organisiert, befragten die Reihen nunmehr die Möglichkeiten und Grenzen der Fotografie. Reicht ein Einzelbild, um einen Kontext fotografisch zu erfassen oder braucht es Bildstrecken, um ihn komplett zu verstehen? Welche Aufnahme trifft das Gesehene subjektiv wie objektiv am besten? Und welchen Zweck hat das Motiv zu erfüllen?
In einer Art Crescendo ging die Installation solchen Überlegungen abschnittsweise nach. Handschriftliche Labels an der Wand lokalisierten die Ansichten: Schnebelhorn (Ost und West), Schindelegg (Kreuz und Wald), Chreuel und Ober Boalp. Umstandslos annotierte Kleinabzüge von rasch und ohne forschenden Anspruch gemachten Aufnahmen nannten die Daten: 20. März 2020, 8. Mai 2021 sowie 13./27. März und 12./18. April 2022. Einige Anordnungen fragten nach dem Abstraktionsgrad oder der Bildausrichtung, andere spürten minimalen Positions- und Perspektivverschiebungen nach. Wieder andere untersuchten motivische Spiegelungen oder testeten das tautologische Potenzial der Idee vom Bild im Bild.
Nicht zuletzt wurden die Abzüge von links nach rechts zusehends grösser, um schliesslich in einem beinahe wandfüllenden, sprich, als „wichtig“ charakterisierten Print zu „gipfeln“. Auch diese Ansicht entzog sich allerdings trotz ihres stolzen Formats sowohl dem Ausblick in die Weite als auch dem Bild eines „richtigen“ Bergs und brachte stattdessen die Essenz der Arbeit nochmals präzis auf den Punkt: die Erkenntnis, dass Fotografie zwar eine abbildend-vermessende Rolle übernehmen kann, faktisch aber trotzdem einer Reihe sehr subjektiver Entscheidungsfindungen entspringt.
Text: Astrid Naef